Trauma: Sexueller Missbrauch
Missbrauch beeinträchtigt die Lebensqualität extrem. Warum ist das so? Was passiert da in der Seele des Betroffenen? Erfahren Sie mehr.
Beispiel eines Traumas nach sexuellem Missbrauch in der Kindheit
Katrin S. ist eine intelligente und vielseitig interessierte Frau Anfang sechzig, die ihre berufliche Laufbahn schon hinter sich hat. Eigentlich könnte sie das Leben in vollen Zügen genießen, denn sie ist finanziell gut ausgestattet, lebt in einer Partnerschaft und hat eine große Familie um sich, mit der viel Kontakt besteht.
Doch die meiste Zeit ist sie völlig erschöpft, leidet unter Schlaflosigkeit und Albträumen, Panikattacken und plötzlich auftretenden Erinnerungen an entsetzliche Kindheitserlebnisse, die bei ihr Schmerzen und Gefühle der Hilflosigkeit hervorrufen. Als sie sich zur Therapie entschließt, steht sie kurz vor dem Zusammenbruch. Katrin berichtet, sie sei in ihrer frühen Kindheit über mehrere Jahre hinweg von ihrem Vater sexuell missbraucht worden.
Das Trauma verzerrt die Realität
Werden Kinder von einer für sie wichtigen Bezugsperson missbraucht, die sie eigentlich lieben sollten und werden sie anschließend nicht von Menschen geschützt, wie es normalerweise sein sollte, ist es für die Kinder im weiteren Verlauf ihres Lebens unmöglich, der Realität, so wie sie JETZT ist, gewahr zu sein, sie zu akzeptieren oder sich effektiv an sie anzupassen.
Es handelt sich dabei um die Unfähigkeit, wichtige Aspekte des äußeren Erlebens, die sachlich zu unserer Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft gehören, uns selbst und unsere inneren Erlebnisse wie Gedanken, Handlungen, Empfindungen, Erinnerungen und Emotionen zu erfassen.
Dies kann sich auch nur auf bestimmte Aspekte einzelner Erlebnisse beziehen. Beispielsweise ist Katrin stolz, als einzige in ihrer Familie ein Studium absolviert zu haben, jedoch hat sie nicht realisiert, dass ihre eigenen intellektuellen Fähigkeiten ihr dies möglich gemacht hatten. Katrin hält sich für dumm und wertlos.
Traumatisierte Menschen schwanken zwischen normalen Nicht-Realitäten, die es bei jedem Menschen gibt, und schwerer wiegenden – das Normale übersteigende – verzerrten Wahrnehmungen: „Ich bin nicht das Problem, sondern alle anderen!“; „Ich weiß nicht, wie diese Verbrennungen auf meinen Arm gekommen sind“; „Ich traue mich nicht, in den Spiegel zu sehen, denn der, den ich sehe, ist ein anderer.“
Störung des angeborenen Bindungsnetzwerks
Alle Menschen verfügen von Geburt an über ein neuronales System für soziale Kontakte, welches unsere Selbstregulation unterstützt. Dieses System ermöglicht uns, mit anderen in Verbindung zu treten und sorgt für einen ruhigen Zustand, der Wachstum, Integration und Wohlbefinden fördert, kurzum alles, was für die psychische Gesundheit wichtig ist.
Bei Kindern, die frühe und andauernde traumatische Erlebnisse haben, wird dieses angeborene Motivations- und Handlungssystem unterbrochen. Stattdessen entwickeln sie überwiegend lebensrettende Anpassungs- und Bewältigungsstrategien wie Flucht, Kampf, Erstarren, Erschlaffen, Lähmung, Unterordnung oder Ohnmacht, die während eines Traumas wichtig und hilfreich sind.
Jahrzehntelanger Schmerz & mangelndes Körpergefühl
Noch Jahrzehnte später haben sie mit vielen Funktionen des angeborenen neuronalen Systems Schwierigkeiten, weil diese durch die frühe Abspaltung und Unterbrechung nicht integriert werden konnten. Denn überwältigende negative Emotionen während eines Traumas - wie Schrecken, Scham, Wut - und physischer Schmerz oder negative Gedanken wie „ich bin selbst schuld“ werden in den neuronalen Netzwerken im Gehirn abgespeichert, fest verankert („eingekapselt“) und machen ihnen das spätere Leben schwer. Die belastenden Emotionen und Kognitionen sind allgegenwärtig.
Besonders Kinder, deren Gehirn sich noch in der Entwicklung befindet, verfügen noch nicht über die kognitive und emotionale Intelligenz, um traumatische Erlebnisse wie beispielsweise einen sexuellen Missbrauch zu integrieren, bei dem der Körper über längere Zeit schwer verletzt und die Seele extrem gedemütigt wurde. Schlimmer noch: danach wird die Verbindung zum Körper getrennt und der Körper nicht mehr gefühlt. Oder der Körper wird als Feind betrachtet und bekämpft, z. B. mit Medikamenten oder Chirurgie.
Wenn die innere Sicherheit fehlt
Menschen mit Traumata fühlen sich ständig in einem Zustand mangelnder Sicherheit. Sie können sich nicht mehr selbst regulieren, wenn sie über- oder untererregt sind. Sie erlauben sich nicht, Spaß am Leben zu haben, weil sie aus irgendeinem Grund gehemmt sind oder sich schämen. Andere können nicht trauern und verharren in Verzweiflung. Häufige Begleiterscheinungen sind Ängste, eine depressive Stimmungslage, Substanz- oder Medikamentenmissbrauch und körperliche Schmerzen.
Viele traumatisierte Menschen haben Probleme, zu essen, zu schlafen oder sich auszuruhen. Manche haben ein überaktiviertes Fürsorgesystem, wollen sich um alles und jeden kümmern und überfordern sich damit selbst. Traumatisierte sind im Schmerz der Vergangenheit gefangen. Je stärker sie den Schmerz vermeiden, den sie durch früh erlebte Traumata empfinden, umso stärker leiden sie in der Gegenwart. Doch es gibt Wege, sich von der Vergangenheit zu befreien.
Was die Therapie bringt
Mein therapeutisches Vorgehen bei sexuellem Missbrauch setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen:
- Die Vermittlung der Entstehung der aktuellen Probleme anhand von Modellen und wissenschaftlichen Erklärungsansätzen.
- Das mitfühlende Akzeptieren, was bedeutet, dass man den physischen und emotionalen Schmerz realisiert (was bereits zur Verringerung des Leidens führen kann).
- Die Aktivierung von Sicherheit, die Wiederherstellung von Selbstvertrauen und Stabilisierung persönlicher Grenzen, die Aktivierung der Selbstfürsorge, Unterstützung bei der Alltagsstruktur.
- Die Stärkung der individuellen Ressourcen, besonders die Reaktivierung der Selbst-stärkenden und unterstützenden Beziehungserfahrungen vor den traumatischen Erfahrungen.
- Entspannungs- (Erden, Atemübungen), Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsübungen begleiten den Prozess, ebenso zahlreiche Übungen zur Selbstregulation des Nervensystems.
- Die Arbeit an belastenden Gefühlen: Gefühle ausdrücken, zulassen, akzeptieren, aushalten und regulieren können.
- Die Arbeit mit nicht mehr nützlichen Gedankenmustern und Bewertungssystemen.
- Die Aktivierung neuer und positiver Selbstanteile, das Herausarbeiten von Chancen und Zukunftsperspektiven.
- Die Neuvernetzung von bisher blockierten Nervenverbindungen mit EMDR: abgespaltene Erinnerungen, Gefühle und Körpersymptome kehren in das Bewusstsein zurück, verbinden sich mit dem Erwachsenen von heute und werden integriert: der Klient/die Klientin wird von der Vergangenheit befreit.
- Rückfallprophylaxe und Notfallplan bei plötzlichem Erinnern neuer traumatischer Erlebnisse.
Lassen Sie sich helfen und nehmen Sie Kontakt mit mir auf. Das erfordert viel Mut, aber es ist nie zu spät dafür, sich von der Vergangenheit zu befreien! Gerne begleite ich Sie bei diesem Prozess.